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Vorlage - 0/51/295/2022  

 
 
Betreff: Vorstellung der Jugendhilfe im Strafverfahren (JuHiS) und Projektvorstellung Initiative "Kurve kriegen"
Status:öffentlich  
Federführend:Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales   
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss Entscheidung
14.03.2022 
5. Sitzung des Jugendhilfeausschusses ungeändert beschlossen   

Sachverhalt
Beschlussvorschlag
Finanzielle Auswirkungen
Anlage/n

Tatbestand:

1.

Allgemeine Informationen zur Mitwirkung des Jugendamtes im Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) in Verbindung mit dem 8. Sozialgesetzbuch (SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe)

 

2.

Entwicklung und aktuelle Situation der Jugendhilfe im Strafverfahren im Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales

 

3.

Initiative „Kurve kriegen“

 

 

Zu 1.

 

Rechtliche Grundlage

Die Arbeit der Jugendhilfe im Strafverfahren (JuHiS) ist eine Pflichtaufgabe des Jugendamtes und ihre gesetzlichen Grundlagen ergeben sich aus § 52 des 8. Sozialgesetzbuches – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) und § 38 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes.

 

Die Jugendhilfe im Strafverfahren

-

bringt die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte im Verfahren zur Geltung

-

erforscht die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und seine Umwelt

-

nimmt am gesamten Verfahren teil

-

äußert sich zu den Maßnahmen, die zu ergreifen sind

-

wacht darüber, ob der Jugendliche den gerichtlichen Weisungen und Auflagen nachkommt und erstattet dem Gericht über Erfüllung oder Nichterfüllung Bericht

-

übt die Betreuung und die Aufsicht aus, wenn dem Jugendlichen ein Betreuungshelfer an die Seite gestellt wurde

-

arbeitet während der Bewährungszeit mit dem Bewährungshelfer zusammen

-

hält zu dem Jugendlichen im Strafvollzug Kontakt

-

hilft dem Jugendlichen nach Entlassung aus dem Strafvollzug bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft

 

 

Inhalts- und Aufgabenbeschreibung

Unter 14 Jahren gilt man strafrechtlich als Kind und als nicht schuldfähig. Kinder können somit niemals Beschuldigte in einem Strafverfahren sein.

Im Alter von 14 bis 17 Jahren ist man im Auge des Gesetzgebers ein Jugendlicher, für den immer Jugendstrafrecht anzuwenden ist.

Zwischen 18 und 21 Jahren gilt man als Heranwachsender. In dieser Altersgruppe kann, abhängig vom Reifezustand des Täters/der Täterin zum Tatzeitpunkt, entweder noch das Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht Anwendung finden.

Ab 21 Jahren gilt man als Erwachsener und die Anwendung des Jugendstrafrechts ist hier ausgeschlossen. 

 

Die JuHiS wird an allen Strafverfahren gegen Jugendliche und junge Heranwachsende, die zum Tatzeitpunkt 14 bis 20 Jahre alt waren, beteiligt und auf Grundlage der ihr von der Staatsanwaltschaft zugesandten Anklageschriften und Ermittlungsakten sowie bei Meldungen der Polizei tätig.

 

Einhergehend mit dem „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren“, welches zum 17.12.2019 in Kraft getreten ist, wurden im Jugendstrafverfahren Verfahrensgarantien festgelegt, die u.a. gewährleisten sollen, dass Jugendliche und Heranwachsende, die Verdächtige oder beschuldigte Personen im Strafverfahren sind, diese Verfahren verstehen, ihnen folgen und ihr Recht auf ein faires Verfahren ausüben können. 

Darüber hinaus wird die wichtige Rolle der JuHiS betont und u.a. verbindlich vorgeschrieben, dass sie schnellstmöglich über eine Einleitung eines Strafverfahrens und eine bevorstehende Beschuldigtenvernehmung informiert und mit in das Verfahren einzubinden ist.    

 

Die Arbeit der JuHiS umfasst folgende Aufgaben und Ziele:

 

-

Straffällig gewordene Jugendliche und junge Heranwachsende werden im gesamten

Verfahren beraten und begleitet. Die JuHiS ist kein Verteidiger, aber auch kein Ankläger der jungen Straftäter.

 

-

In Gesprächen mit den jungen Menschen und ggf. dessen Familie werden die Hin-

tergründe der Straftat, die Persönlichkeit, die Entwicklung und Lebensumstände des 

Angeschuldigten erforscht.

 

 

Die daraus resultierenden Informationen, Ergebnisse und Erkenntnisse sowie ein 

möglicher Strafvorschlag fließen in einen schriftlichen Bericht an das Gericht und die 

Staatsanwaltschaft. Gericht und Staatsanwaltschaft wird dadurch ermöglicht, den Straffälligen nicht nur als Täter, sondern auch als jungen Menschen in einem sozialen 

Umfeld und mit eigenen Entwicklungs- und Lebensbedingungen zu sehen und diese

Erkenntnisse bei der Festlegung eines gerechten und angemessenen Strafmaßes

berücksichtigen zu können.

 

-

Nach Beschlussfassung des Gerichtes obliegt der JuHiS die Organisation und

Überwachung der gerichtlichen Auflagen.

 

-

Bei Schwierigkeiten, die der Jugendliche durch das Verfahren und seine Folgen z. B.

 in seiner Familie, Schule, an seinem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bekommen

 könnte, berät, vermittelt und unterstützt die JuHiS

 

-

die JuHiS wirkt hinsichtlich seiner Straftat, der Entwicklung eines Unrechtsbewusst-

seins und einer zukünftig straffreien Lebensführung auf den Jugendlichen ein

 

 

Urteile nach dem Jugendstrafrecht

Im Jugendstrafrecht geht es um Erziehung und nicht um Bestrafung.

Aus diesem Grunde liegt der Fokus des Verfahrens auch nicht darauf, „welche Strafe“ am Ende der junge Mensch erhalten soll, sondern welche erzieherische Maßnahme die geeignete ist, damit der Straftäter aus seinen Fehlern lernen und zukünftig ein straffreies Leben führen kann.

 

Das Jugendstrafrecht sieht folgende Sanktionen und Maßnahmen für junge Straftäter vor:

-

Weisungen

z.B. Betreuungsweisungen, Sozialer Trainingskurs, Verkehrssicherheitsseminar, Anti-Gewalttraining, gemeinnützige Arbeit, Täter-Opfer-Ausgleich

 

-

Hilfen zur Erziehung

z.B. sozialpädagogische Einzelbetreuung, Nachbetreuung bei jungen Volljährigen, Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform

 

-

„Zuchtmittel“

-          Mündliche oder schriftliche Verwarnung durch den Richter

-          Auflagen z.B. Schadenswiedergutmachung, Geldauflage, Auflage, sich beim Geschädigten zu entschuldigen

-          Therapie z.B. ambulante und stationäre Therapieeinrichtungen

-          Jugendarrest

 

-

Jugendstrafe

Freiheitsentzug, wenn aufgrund der schädlichen Neigung des Jugendlichen oder Heranwachsenden Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichend oder wegen der Schwere der Schuld erforderlich sind.

 

 

Zu 2.

 

Die JuHiS ist ein Aufgabebereich der MitarbeiterInnen im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Sachgebietes 04 - „Soziale Dienste“ - im Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales.

Dem Arbeitsprinzip der „Sozialraumorientierung“ folgend übernehmen die 7 ASD-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Aufgaben im Rahmen der JuHiS für die in „ihrem Bezirk“ bzw. Zuständigkeitsbereich lebenden straffällig gewordenen Jugendlichen und jungen Heranwachsenden sowie deren Familien.

 

Statistische Daten zur Jugendhilfe im Strafverfahren

Die Entwicklung der Fallzahlen im Bereich der Jugendhilfe im Strafverfahren der vergangenen vier Jahre stellt sich wie folgt dar:

 

JGH-Fälle 2018 – 2021 gesamt

 

Verfahrensart:

Hauptverfahren

Ermittlungsverfahren

Vereinfachtes Verfahren

Strafbefehl

Anzahl

200

26

6

5

 

Alter:

14 J.

15 J.

16 J.

17 J.

18 J.

 19 J.

20 J.

21 J.

Gesamt

Anzahl

17

24

24

42

37

35

42

16

237

 

Geschlecht:

Weiblich

Männlich

Anzahl

38

199

 

Gesamtanzahl:

237

 

 

JGH-Fälle 2018

 

Verfahrensart:

Hauptverfahren

Ermittlungsverfahren

Vereinfachtes Verfahren

Strafbefehl

Anzahl

72

5

3

1

 

Alter:

14 J.

15 J.

16 J.

17 J.

18 J.

 19 J.

20 J.

21 J.

Gesamt

Anzahl

4

6

6

17

15

6

18

9

81

 

Geschlecht:

Weiblich

Männlich

Anzahl

15

66

 

Gesamtanzahl:

81

 

 

JGH-Fälle 2019

 

Verfahrensart:

Hauptverfahren

Ermittlungsverfahren

Vereinfachtes Verfahren

Strafbefehl

Anzahl

49

16

2

2

 

Alter:

14 J.

15 J.

16 J.

17 J.

18 J.

 19 J.

20 J.

21 J.

Gesamt

Anzahl

7

8

8

12

11

13

7

3

69

 

Geschlecht:

Weiblich

Männlich

Anzahl

12

57

 

Gesamtanzahl:

69

 

 

JGH-Fälle 2020

 

Verfahrensart:

Hauptverfahren

Ermittlungsverfahren

Vereinfachtes Verfahren

Strafbefehl

Anzahl

36

1

0

1

 

Alter:

14 J.

15 J.

16 J.

17 J.

18 J.

 19 J.

20 J.

21 J.

Gesamt

Anzahl

4

4

4

3

4

8

10

1

38

 

Geschlecht:

Weiblich

Männlich

Anzahl

5

33

 

Gesamtanzahl:

38

 

 

JGH-Fälle 2021

 

Verfahrensart:

Hauptverfahren

Ermittlungsverfahren

Vereinfachtes Verfahren

Strafbefehl

Anzahl

43

4

1

1

 

Alter:

14 J.

15 J.

16 J.

17 J.

18 J.

 19 J.

20 J.

21 J.

Gesamt

Anzahl

2

6

6

10

7

8

7

3

49

 

Geschlecht:

Weiblich

Männlich

Anzahl

6

43

 

Gesamtanzahl:

49

 

 

Hauptverfahren

Bei einem Hauptverfahren findet immer ein Gerichtstermin statt, an dem die Teilnahme der JuHiS notwendig ist. In diesem Termin wird geprüft, ob das Jugendgericht die Tatvorwürfe für erwiesen hält. Der Ablauf der Verhandlung ist klar geregelt. Anwesend sind die Staatsanwaltschaft, der Richter, der Angeklagte (ggf. Personensorgeberechtigte), ggf. Zeugen und die JuHiS. Die JuHiS muss im Vorfeld eine Stellungnahme gem. §38 JGG erstellen und in diesem die sozialen und erzieherischen Gesichtspunkte des Angeklagten darstellen.

Sollte das Gericht den Angeklagten für schuldig empfinden gibt es unterschiedliche Verfahrensausgänge, zum Beispiel eine Einstellung des Verfahrens mit Auflagen, ein Urteil oder ein Beschluss.

 

Ermittlungsverfahren

Kann die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens keinen sog. hinreichenden Tatverdacht feststellen, stellt sie das Verfahren mangels Verfolgbarkeit ein.

 

Vereinfachtes Verfahren

Ein vereinfachtes Verfahren gibt es bei geringfügigen Delikten, es erfolgt in der Regel kein Gerichtstermin und wenn es einen Gerichtstermin gibt, wird ohne die Staatsanwaltschaft verhandelt. Meist wird das Verfahren eingestellt ggf. mit einer Auflage, wie zum Beispiel eine geringe Anzahl an Arbeitsstunden.

 

Diversion

Bei einer Diversion erfolgt quasi ein „Deal“ zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Jugendlichen. Voraussetzung ist, dass sich der Jugendliche einsichtig zeigt und es sich bei dem Fehlverhalten um eine leichte oder mittelschwere Straftat ohne gravierende Schädigungen handelt. Es besteht die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung, wenn eine Wiedergutmachung erfolgt, wie beispielsweise die Teilnahme am Sozialen Trainingskurs, Ableistung von Arbeitsstunden etc.

 

Strafbefehl:

Ein vereinfachtes Verfahren zur Bewältigung von leichter Kriminalität. Es gibt ein rechtskräftiges Urteil ohne mündliche Verhandlung. Ein Strafbefehl ist nur bei Heranwachsenden möglich, nicht bei Jugendlichen. Es ist dann zulässig, wenn Erwachsenenstrafrecht angewandt wird. In der Regel kommt es zu einer Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe kann nicht verhängt werden.

 

Während die JuHiS die Initiierung, Begleitung und Überwachung von Betreuungsweisungen und gemeinnützigen Arbeitseinsätze (Sozialstunden) übernimmt, wird dem Sozialdienst Katholischer Frauen und Männer Erkelenz die Durchführung der weiteren o.g. Weisungen und Auflagen übertragen.

Der SKFM arbeitet seit Jahren mit straffällig gewordenen Jugendlichen und jungen Heranwachsenden im Kreis Heinsberg und führt in enger Kooperation mit den kreisangehörigen Jugendämtern deliktspezifische Gruppenangebote und Einzelbetreuungen durch.

 

 

 

Zu 3.

 

Um die Entwicklung von besonders kriminalitätsgefährdeten Kindern und Jugendlichen zum „Intensivtäter“ möglichst frühzeitig erkennen und nachhaltig verhindern zu können, hat die Polizei NRW die Initiative „Kurve kriegen“ ins Leben gerufen.

Die kriminalpräventive NRW-Initiative „Kurve kriegen“ basiert auf den Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts der Enquetekommission „Prävention“ des Landtags NRW aus dem Jahre 2010. Durch kriminalpräventive Angebote sollen Kinder und Jugendliche zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ihrer „kriminellen“ Karriere in den Blick genommen und ihnen und ihren Familien Beratung und Unterstützung geleistet werden, um weitere Straftaten und eine Verhärtung des delinquenten Verhaltensmusters entgegenwirken zu können.

 

Im Kreis Heinsberg arbeitet die Polizei im Rahmen der Initiative „Kurve kriegen“ mit sozialpädagogischen Fachkräften des SKFM Erkelenz zusammen. Diese stellen im Folgenden dem Jugendhilfeausschuss die Ausgangslage, Rahmenbedingungen und Zielsetzungen der Initiative „Kurve kriegen“ vor.


Beschlussentwurf (in eigener Zuständigkeit):

„Der Jugendhilfeausschuss nimmt die Darstellung zum Arbeitsgebiet „Jugendhilfe im Strafverfahren“ und der Initiative „Kurve kriegen“ zur Kenntnis.“


Finanzielle Auswirkungen:

keine