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Vorlage - /015/2015  

 
 
Betreff: Antrag der SPD-Stadtratsfraktion vom 01.09.2015 und Antrag der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 02.09.2015: Gesundheitskarte für Flüchtlinge
Status:öffentlich  
Federführend:Erster Beigeordneter   
Beratungsfolge:
Ausschuss für Demographieangelegenheiten, Umwelt und Soziales Vorberatung
25.11.2015 
3. Sitzung des Ausschusses für Demographieangelegenheiten, Umwelt und Soziales zurückgestellt   
Hauptausschuss Vorberatung
10.12.2015 
9. Sitzung des Hauptausschusses zurückgestellt   
Rat der Stadt Erkelenz Entscheidung

Sachverhalt
Beschlussvorschlag
Finanzielle Auswirkungen
Anlage/n

Tatbestand:

Anmerkungen:

a) Dieser Tagesordnungspunkt sollte bereits in der Sitzung des Rates am 16.09.2015 unter TOP 06 beraten und beschlossen werden. Die Anträge wurden an den Ausschuss für Demographieangelegenheiten, Umwelt und Soziales verwiesen mit einem empfehlenden Beschluss an den Hauptausschuss bzw. an den Rat im Dezember dieses Jahres.

 

b) Durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 2010.2015 wurde im Rahmen des § 264 SGB V  (Gesetzliche Krankenversicherung) eine weitere, nunmehr bundeseinheitliche Ermächtigungsgrundlage für die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge geschaffen. Diese gesetzliche Änderung ist in der Beschlussvorlage noch nicht berücksichtigt, da noch Klärungsbedarf besteht. Daher wird dann in der Sitzung am 25.11.2015 hierzu Stellung genommen.

 

Sachverhalt:

Mit Antrag vom 01.09.2015 beantragt die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Erkelenz, der Rat der Stadt Erkelenz möge beschließen:

 

„Die Stadtverwaltung wird damit beauftragt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass den Flüchtlingen eine den Rahmenbedingungen des Landes NRW entsprechende Gesundheitskarte ausgehändigt werden kann.“

 

Zur Begründung wird u.a. darauf hingewiesen, dass die Einführung einer Gesundheitskarte die erforderliche Inanspruchnahme einer medizinischen Hilfe unbürokratisch und diskriminierungsfrei ermögliche.

 

Mit Antrag vom 02.09.2015 beantragt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen inhaltlich gleichlautend, der Rat der Stadt Erkelenz möge beschließen:

 

„1. Die Stadt Erkelenz tritt der Rahmenvereinbarung zwischen dem Land NRW und den in der Vereinbarung genannten Krankenkassen zur Übernahme der Gesundheitsversorgung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 Abs. 1 SGB V i. V. m. §§ 1, 1 a Asylbewerberleistungsgesetz in Nordrhein-Westfalen bei.

 

2. Die Verwaltung wird beauftragt, die weiteren Schritte zur Einführung der Gesundheitskarte für Geflüchtete einzuleiten.“

 

Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weist darauf hin, dass die Einführung einer Gesundheitskarte erhebliche Verbesserungen der Gesundheitsversorgung der vor Not und Verfolgung geflüchteten Menschen biete. Zudem bedeute die Einführung der Gesundheitskarte auch eine Entlastung der Kommune, indem nicht nur der Genehmigungsvorbehalt entfalle, sondern auch die Bearbeitung und Abrechnung über die Krankenkassen geregelt werde.

 

Leistungsberechtigten im Sinne des § 1 AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz) steht ein Anspruch auf Gewährung von gesonderten Leistungen im Sinne von §§ 4 und 6 AsylbLG bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt zu. Diese Leistungen werden in der Stadt Erkelenz bisher für ambulante Behandlungen gewährt durch das bedarfsgerechte Ausstellen von Krankenbehandlungsscheinen seitens des Amtes für Kinder, Jugend, Familie und Soziales sowie durch die Erteilung von Kostenzusicherungen bspw. bei stationären Aufenthalten, Hilfsmittelverordnungen oder Zahnersatzmaßnahmen. Festzuhalten ist, dass das gegenwärtige System der Ausstellung von Krankenscheinen nach Auffassung der Verwaltung mit keinem großen Verwaltungsaufwand verbunden ist und sich bislang aus Sicht der Verwaltung bewährt hat. Es ermöglicht vor allem, flexibel auf die Bedürfnisse der Asylbewerberinnen/Asylbewerber zu reagieren.

 

Der bislang von der Stadt Erkelenz ausgestellte Krankenschein beinhaltet neben den weiteren notwendigen Angaben den Hinweis zur Abrechnung über die Kassenärztliche bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung oder der Apothekerabrechnungsstelle mit der Abrechnungsnummer der Stadt Erkelenz. Zudem ist der Krankenschein hinsichtlich des Umfangs der Behandlung mit dem Text des § 4 AsylbLG versehen und dem Hinweis, dass Überweisungen, Hilfsmittel und Krankenhauseinweisungen der Zustimmung der Stadt Erkelenz bedürfen, medizinische Notfälle selbstverständlich ausgenommen.

 

Die Prüfung der Voraussetzungen des § 4 AsylbLG sowie die Abrechnung erfolgt über die Kassenärztliche bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigung und über die Apothekerabrechnungsstelle.

 

Für eine notwendige Behandlung durch einen Allgemeinmediziner wird nach Vorsprache ein Krankenschein ohne weitere Prüfung durch die Verwaltung vom Datum der Vorsprache bis zum nächsten Quartalsende ausgestellt. Hier wird auch Name und Anschrift des behandelnden Arztes eingetragen. Der Behandlungsschein gilt nur für den Arzt, für den er ausgestellt wurde. Da hier in Erkelenz nur noch wenige Ärzte neue Patienten aufnehmen, kann bei der Aushändigung von Krankenscheinen seitens der Verwaltung ein Hinweis gegeben werden, wo der Erkrankte zur Behandlung hingehen kann. Auch für die Behandlung durch einen Augenarzt und einen HNO-Arzt  wird direkt ein Krankenschein ausgestellt, da eine vorherige Prüfung durch den Hausarzt wenig sinnvoll erscheint. Bei der Überweisung an einen Facharzt ist in der Regel die Überweisung eines Hausarztes erforderlich, da nur dieser die Notwendigkeit zur Behandlung beurteilen kann. Neben der reinen Ausgabe des Behandlungsscheins erfolgt somit auch eine Beratung, welche von den zumeist sprach- und ortsunkundigen Flüchtlingen und Asylanten als Hilfe wahrgenommen wird.

Das Verfahren ist bei den Erkelenzer Ärzten bekannt und führt zu keinen nennenswerten Schwierigkeiten.

 

Der Krankenschein wird immer bis zum jeweiligen Quartalsende ausgestellt, so dass die kranke Person nicht für jede Behandlung einen neuen Krankenschein benötigt.

 

Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit einigen führenden/mitgliederstarken Krankenkassen (AOK, Knappschaft, DAK, TK, Barmer GEK) eine Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Gesundheitsversorgung für nicht versicherungspflichtige Personen im Sinne von §§ 1, 1a AsylbLG gegen Kostenerstattung abgeschlossen. Den Kommunen wird durch § 3 der Rahmenvereinbarung ein freiwilliges Beitrittsrecht eingeräumt.

 

 

Bei einem Beitritt zu dieser Vereinbarung würde die bisherige Ausstellung von Krankenscheinen durch das Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales bzw. die Erteilung von Kostenzusicherungen entfallen. Stattdessen würden entsprechende Anträge aufgenommen und die in Frage kommenden Asylbewerberinnen/Asylbewerber erhielten Versichertenkarten der gewählten Krankenkasse, mit denen sie wie andere pflichtversicherte, familien- oder freiwilligversicherte Personen ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen könnten.

 

Nach eingehender Prüfung der Angelegenheit kann allerdings verwaltungsseitig der Beitritt zu der bestehenden Rahmenvereinbarung derzeit nicht empfohlen werden. Die zu erwartenden Erleichterungen für die Asylbewerber wiegen die Risiken und Nachteile, die mit einem Beitritt zu der Vereinbarung verbunden wären, nicht auf. Eine Entlastung von Verwaltungsarbeit wird hier nicht gesehen.

 

So beeinflussen die nachfolgenden Punkte die verwaltungsseitige Empfehlung:

 

-          Zur Abgeltung der entstehenden Verwaltungsaufwendungen bei den Krankenkassen hat die zuständige Gemeinde Verwaltungskostenersatz für die von den Krankenkassen übernommene Wahrnehmung der Gesundheitsvorsorge in Höhe von 8 % der entstandenen Leistungsaufwendungen zu leisten, mindestens jedoch 10 Euro pro angefangenen Betreuungsmonat je Leistungsberechtigten. Diesbezüglich haben die kommunalen Spitzenverbände schon bei den Verhandlungen des Landes mit den Krankenkassen darauf hingewiesen, dass der Betrag von 8 % zu hoch angesetzt sei, allenfalls 5 % seien angemessen. Diese 5 % sind heute bereits zu übernehmen für die Leistungsberechtigten nach dem SGB XII (Sozialhilfe), die nicht krankenversichert sind, sowie für die Leistungsberechtigten im Sinne des § 2 AsylbLG.

 

-          Per August 2015 kämen in der Stadt Erkelenz 230 Leistungsberechtigte für eine Ausstattung mit einer elektronischen Gesundheitskarte im Rahmen der Rahmenvereinbarung in Frage. Dies bedeutet, dass selbst, wenn keine dieser Personen einer Krankenbehandlung bedürfte, im Jahr Kosten in Höhe von rund 27.600 Euro durch die Stadt zu übernehmen wären (230 Personen x 10,00 Euro Grundkosten/Mindesterstattungsbetrag mtl. x 12 Monate).

 

-          Es würde aufgrund der notwendigen Zeitdauer für die Ausstellung der Gesundheitskarte einerseits und der doch relativ zügigen Entscheidung über die Anerkennung syrischer und irakischer Flüchtlinge immer noch ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand bei der Stadt verbleiben. Aus der Erfahrung mit der Gesundheitskarte bei den Anspruchsinhabern nach  § 2 AsylbLG dauert es bis zur Ausstellung der Versichertenkarte ca. 4 – 6 Wochen. In der Zwischenzeit müssen sowieso Krankenscheine ausgestellt werden. Syrische und irakische Flüchtlinge erhalten innerhalb dieses Zeitraumes oftmals bereits eine Aufenthaltserlaubnis mit der Folge, dass das Jobcenter verbunden mit einer Pflichtversicherung zuständig wird und der Antrag auf eine Versichertenkarte obsolet wird. Zudem müssen bisher für den Personenkreis des § 2 AsylbLG (in der Regel nach 15 Monaten) für jedes Familienmitglied Anträge an die AOK gestellt werden, was auch mit einem Verwaltungsaufwand verbunden ist.

 

-          Die Stadt Erkelenz müsste für eine missbräuchliche Benutzung der Gesundheitskarten finanziell einstehen. Mit dem Beitritt zur Rahmenvereinbarung übernähme die Stadt die Verpflichtung, Gesundheitskarten beim Wegfall der Berechtigung beim Inhaber einzuziehen. Dies gestaltet sich aber bei Personen, die freiwillig ausreisen oder untertauchen, äußerst schwierig; hier erhält die Stadt häufig nicht einmal mehr die Schlüssel zu den bewohnten Räumen in Übergangsheimen zurück. Die unerlaubte Weiternutzung der Gesundheitskarte würde finanziell bei Stadt Erkelenz verbleiben.   

 

-          Formal-juristisch sind die mit der elektronischen Gesundheitskarte zu erlangenden Leistungen weitergehender als die gesetzliche Leistungsverpflichtung. Das in § 4 AsylbLG normierte Kriterium der Aufschiebbarkeit von Behandlungen bleibt bei den Krankenkassen völlig unbeachtet. Dies wird zu Mehraufwendungen führen.

 

-          Eine zielgerichtete Steuerung der Inanspruchnahme von Behandlungsangeboten kann nicht mehr erfolgen. Eine zielgerechte Steuerung wie zum Beispiel bei der Migrationsambulanz in Viersen ist mit einer Versichertenkarte nicht möglich. Die im Januar 2006 eröffnete Ambulanz ist ein spezielles Angebot der LVR-Klinik Viersen für Migrantinnen und Migranten. Hier können Menschen beraten, behandelt und begleitet werden, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Das Team besteht aus Ärzten, Krankenpflegepersonal, einer Sozialarbeiterin und einer medizinischen Fachangestellten. Sie sprechen muttersprachig Deutsch, Türkisch und Persisch, außerdem als Fremdsprachen Englisch und Französisch. Für andere Sprachen stehen bei Bedarf Dolmetscher zur Verfügung. Sie arbeitet auch für Menschen aus dem Kreis Heinsberg. Dort erhalten sie zielgerichtet Hilfe.

 

Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen stellt seinen Gemeinden im Schnellbrief 184/2015 vom 03.09.15 den Beitritt zu dieser Rahmenvereinbarung anheim, empfiehlt sie aber nicht.

 

Aus diesen Gründen empfiehlt die Verwaltung ebenfalls, derzeit der abgeschlossenen Rahmenvereinbarung nicht beizutreten. Da nach § 3 der Rahmenvereinbarung ein Beitritt mit einer Frist von 2 Monaten zum Quartalsbeginn möglich ist, kann derzeit ohne weiteres abgewartet werden, welche Erfahrungen andere Kommunen bei der Umsetzung gewinnen.


Beschlussentwurf (als Empfehlung an Hauptausschuss und Rat):

Der Antrag der SPD-Fraktion vom 01.09.2015 und der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen vom 02.09.2015 auf Beitritt zur Rahmenvereinbarung zur Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge wird abgelehnt.“


Finanzielle Auswirkungen: