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Vorlage - 0/51/292/2021  

 
 
Betreff: Änderungen des SGB VIII durch das KJSG
Status:öffentlich  
Federführend:Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales   
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss Entscheidung
23.11.2021 
4. Sitzung des Jugendhilfeausschusses ungeändert beschlossen   

Sachverhalt
Beschlussvorschlag
Finanzielle Auswirkungen
Anlage/n
Anlagen:
Gesetzesbeschluss des Bundesrates  
DIJUF-Synopse  

Tatbestand:

Im Jahr 1991 trat das Achte Buch Sozialgesetzbuch „Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)“ in Kraft. In ihm werden die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe - die Stärkung, Förderung und der Schutz der Kinder und Jugendlichen, die Unterstützung der Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung und die Förderung junger Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung - beschrieben.

In den zurückliegenden Jahren wurden wiederkehrend Anstrengungen unternommen, die rechtlichen Grundlagen weiter zu entwickeln und damit dem komplexen Handlungsauftrag der Kinder- und Jugendhilfe gerecht zu werden.

 

Am 07. Mai 2021 stimmte der Bundesrat dem Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG) zu und dieses trat am 09.06.2021 in Kraft.

Das KJSG ist ein Artikelgesetz und stellt die folgenreichste Gesetzesreform seit Inkrafttreten des Achten Sozialgesetzbuches „Kinder- und Jugendhilfe“ dar. Mit ihm sind weitreichende Änderungen sowohl für die Kinder- und Jugendhilfe als auch für andere Gesetze verbunden, mit deren Umsetzung sich das Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und somit auch der Jugendhilfeausschuss in den kommenden Jahren befassen muss.

 

Das KJSG zielt primär darauf ab, insbesondere die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu stärken, die benachteiligt sind, unter belastenden Lebensbedingungen aufwachsen oder von einer sozialen Teilhabebeeinträchtigung bedroht oder betroffen sind.

 

Die zentralen Änderungen und Auswirkungen des KJSG lassen sich inhaltlich in fünf Schwerpunktbereiche einordnen:

 

 

  1. Verbesserter Kinder- und Jugendschutz

-          Durch verbindlich umzusetzende Kooperations- und Kommunikationsstrukturen in der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe mit denen des Gesundheitswesens, der Strafverfolgungsbehörden, den Familiengerichten, der Jugendstrafjustiz und anderen Beteiligten an den Schnittstellen im Kinderschutz soll die Verantwortungsgemeinschaft für einen wirksamen Kinderschutz gestärkt werden.

-          Zum Schutz von Kindern in Einrichtungen und Auslandsmaßnahmen wird es zukünftig ein höheres Maß an Auflagen und Vorgaben im Bereich Betriebserlaubnisverfahren, Prüfvoraussetzungen, Aufsicht und Kontrolle geben.

 

 

  1. Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe aufwachsen

Die Rechte von Kindern und Jugendlichen, die nicht in ihren Familien aufwachsen können, von jungen Erwachsenen nach ihrem Auszug aus einer Pflegefamilie oder Einrichtung der Jugendhilfe sowie von deren Eltern wurden an verschiedenen Stellen im KJSG erweitert und untermauert:

 

-          Bei der Hilfeplanung sind die verbindlichere Beteiligung von Geschwistern und Eltern sowie die prozesshafte Perspektivplanung und dessen Dokumentation zu gewährleisten.

-          Während der Unterbringung ihrer Kinder ist die Beratung und Unterstützung der Eltern verbindlich zu gestalten.

-          Auch für Kinder und Jugendlichen, die in Pflegefamilien untergebracht sind, werden sog. Schutzkonzepte verpflichtend eingeführt und angewandt und die Pflegepersonen hierzu beraten und beteiligt.    

-          Das Familiengericht erhält die Möglichkeit, den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie anzuordnen, sofern sich die Erziehungsverhältnisse in der Herkunftsfamilie trotz Hilfen in einem vertretbaren Zeitraum nicht verbessern. 

-          Um Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Erziehungshilfe dahingehend zu stärken, für sich und ihr Leben Verantwortung zu übernehmen, reduziert sich deren Kostenbeitrag aus eigenem Einkommen zur stationären Hilfe von 75% auf 25%. Darüber hinaus wird von der Heranziehung aus dem Vermögen gänzlich verzichtet.

-          Hilfen für junge Volljährige werden zu einer „Muss-Vorschrift“, sofern die Unterstützung weiterhin zur Entwicklung einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung erforderlich ist.

-          Die Nachbetreuung und Beratung von jungen Volljährigen („Care-Leaver“) nach Beendigung einer Hilfe wird verbindlich geregelt und für diesen Personenkreis wurde eine „Come-back-Option“ eingeführt die es ermöglicht, dass eine Hilfe trotz vorheriger Beendigung fortgesetzt oder in einer veränderten Form gewährt wird.   

 

 

  1. Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung

Die größte Weichenstellung im KJSG betrifft den Bereich der „inklusiven Lösung“, der Hilfen für Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung aus einer Hand. Für diese Kinder und Jugendlichen sowie für deren Eltern soll es deutlich einfacher werden, ihre Rechte zu verwirklichen und die ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten.

 

In einem dreistufigen Modell wird bis 2028 der Ausbau der inklusiven Gestaltung und Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe auch für Eingliederungshilfen für Kinder und Jugendliche mit körperlicher und geistiger Behinderung geregelt.

 

Erste Stufe ab dem 10. Juni 2021

In dieser Stufe wird die Inklusion als Leitgedanke der Kinder- und Jugendhilfe und des SGB VIII gestärkt und verankert und die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Reha- bzw. Leistungsträgern bereinigt. So werden die Beratungspflichten über die Leistungen und Zuständigkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und anderer Leistungsträger, der Antragstellung und Inanspruchnahme von Hilfen sowie die verbindliche Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt und anderen Sozialleistungsträgern normiert.

Eine weitere Regelung befasst sich mit der Weiterentwicklung der inklusiven Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen.

 

Zweite Stufe ab 2024

Spätestens ab diesem Zeitraum haben Leistungsberechtigte und –empfänger gegenüber dem Jugendamt einen Anspruch auf Unterstützung und Begleitung durch einen unabhängigen Verfahrenslotsen, der ihnen als verlässliche Ansprechperson bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfen zur Seite steht.

Der Verfahrenslotse soll darüber hinaus das Jugendamt bei der Zusammenführung der Zuständigkeiten unterstützen und somit die Weichen für eine vollständige Übernahme der vorrangigen Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit seelischer, körperlicher und geistiger Behinderung stellen.

 

Dritte Stufe ab 2028

Sofern bis zum 01.01.2027, auf Grundlage einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung und einer wissenschaftlichen Umsetzungsbegleitung, ein entsprechendes Bundesgesetz verkündet worden ist, setzt mit der dritten Stufe der Übergang der vorrangigen Zuständigkeit für Eingliederungshilfeleistungen für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen mit einer (drohenden) seelischen, körperlichen und geistigen Behinderung in das SGB VIII und somit die „inklusive Lösung ein.     

 

 

  1. Prävention vor Ort

Durch einen niederschwelligen Zugang zu Beratungs- und Hilfsangeboten im sozialräumlichen Umfeld sollen insbesondere Familien mit besonderen Belastungen künftig leichter und schneller bedarfsgerechte und unmittelbare Hilfen zur Bewältigung ihres Alltags erhalten.

Das KJSG stärkt somit den präventiven Ansatz durch leicht und unbürokratisch zugänglicher ortsnaher Hilfsangebote und die Kombinationsmöglichkeiten unterschiedlicher Hilfen zur Erziehung.

Darüber hinaus sollen bei mehrfach straffällig gewordenen Jugendlichen sowie Kinder und Jugendliche mit multiplen Problemlagen die Akteure aus den Bereichen Jugendhilfe, Polizei und Jugendstaatsanwaltschaft, Schule, Ausländerbehörde, Gesundheitsbereich usw. enger kooperieren und sich z.B. in gemeinsamen „Fallkonferenzen“ mit Lösungsansätzen befassen.

 

 

 

 

  1. Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien

Das Anliegen des KJSG, die Beteiligungsrechte junger Menschen und ihrer Eltern zu stärken, lässt sich in drei Bereiche differenzieren:

 

  1. Stärkung der Selbstbestimmung junger Menschen

Kinder und Jugendliche haben unabhängig von einer Not- und Konfliktsituation einen uneingeschränkten und vertraulichen Beratungsanspruch ohne Kenntnis der Sorgeberechtigten. 

 

  1. Stärkung bei der Inanspruchnahme von Hilfen und bei einer Inobhutnahme

Bei der Inanspruchnahme von Hilfen sowie während einer Inobhutnahme sollen junge Menschen und ihre Familien in verständlicher, nachvollziehbarer und wahrnehmbarer Form informiert, beraten und beteiligt und somit in die Lage versetzt werden, vor und während der Hilfe für sich informierte und selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können. 

 

  1. Stärkung von Beschwerdemöglichkeiten und Selbstvertretung

Laut KJSG sind besonders für fremduntergebrachte Kinder verpflichtend die Schaffung und Nutzung von niederschwelligen internen und externen Beschwerdemöglichkeiten sicherzustellen und mit den Kindern zu kommunizieren.

Einhergehend mit Betriebserlaubnisverfahren für stationäre Einrichtungen wird das Vorhandensein und die Gewährleistung von externen Beschwerdemöglichkeiten verpflichtende Voraussetzung sein.

Darüber hinaus sollen den jungen Menschen und ihren Familien Ombudsstellen als unabhängige Anlaufstellen zur Verfügung stehen und selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung organisiert und gestärkt werden. 

 

Grundsätzlich werden die umfassende SGB VIII Reform und die Veränderungen durch das KJSG im Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales begrüßt und als adäquate Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe gewertet.

 

Die praktische Umsetzung der SGB VIII Reform und den Neuregelungen des KJSG führen im Amt für Kinder, Jugend, Familie und Soziales jedoch zu erheblichen Herausforderungen. Die Änderungen und Erweiterungen der Aufgaben bringen teilweise erhebliche fachliche, personelle und finanzielle Anforderungen mit sich, die sich insbesondere auf die Arbeitsbereiche des Allgemeinen Sozialen Dienstes, der Eingliederungshilfe, des Pflegekinderdienstes, der Tageseinrichtungen, der Kindertagespflege und der Wirtschaftlichen Jugendhilfe auswirken werden.

 

Einige Bereiche sind mit deutlichen Ausbau der Aufgaben und Leistungen verbunden und insbesondere die inklusive Ausrichtung aller Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, die Alleinzuständigkeit für die Eingliederungshilfen, die Implementierung von Beschwerdestellen und Verfahrenslotsen werden grundlegende Veränderungen in den Arbeitsprozessen und in der personellen Organisation des Dienstes zur Folge haben.

 

Um diesen Umsetzungsprozess gut gestalten zu können, werden begleitende Beratungs- und Fortbildungsprozesse u.a. durch das Landesjugendamt erforderlich sein, teilweise bereits angeboten und von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Amtes für Kinder, Jugend, Familie und Soziales in Anspruch genommen.

Die Jugendämter im Kreis Heinsberg befassen sich darüber hinaus auf unterschiedlichen Ebenen mit gemeinsamen Fach- und Fortbildungsveranstaltungen zu Umsetzungsprozessen des KJSG für unterschiedliche Arbeitsbereiche. 

Darüber hinaus werden die Kernprozesse und Verfahrensabläufe in den o.g. Arbeitsbereichen sukzessiv an die sich durch das KJSG ergebenden Veränderungen angepasst.

Welche finanziellen, personellen und strukturellen Auswirkungen der Umsetzungsprozess auf den Haushalt haben wird, kann aktuell nicht beziffert sondern erst zuverlässiger verifiziert werden, wenn erforderliche Umsetzungsprozesse detaillierter beschrieben, umgesetzt und entsprechende Auswertungen dazu vorgenommen werden konnten.  

 


Beschlussentwurf (in eigener Zuständigkeit):

„Der Jugendhilfeausschuss nimmt die Ausführungen zur Kenntnis“.


Finanzielle Auswirkungen:

Die erforderlichen Mittel zur qualifizierten fachlichen Ausgestaltung der Arbeit im Bereich des Jugendamtes werden jährlich ermittelt und im JHA beraten.


Anlagen:

- Gesetzesbeschluss des Bundesrates

- DiJUF - Synapse

Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Gesetzesbeschluss des Bundesrates (156 KB)      
Anlage 2 2 DIJUF-Synopse (434 KB)